NACHGEFRAGT

Der alte Mann und der Stein

2. Oktober 2016

„Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, gehe ich
bis zur letzten Konsequenz.“

Kein Satz könnte das Leben des im Jahr 1923 Geborenen besser beschreiben. Eiserne Disziplin, klare Strukturen und strenge Prinzipien wären wohl die Eigenschaften, die ich Herrn Leopold Haindl sen. noch vor wenigen Tagen zugeordnet hätte. Im Laufe des Portrait-Projekts über sein Leben, das wir gemeinsam an mehreren Tagen verwirklichten, zeigten sich mir noch weitaus mehr Facetten des berüchtigten Altbauern und Pioniers der Pflastersteinproduktion. Zuvorkommend, bescheiden, aber doch großzügig. Ein Herr der alten Schule.

Direkt nach der Matura diente er im Zweiten Weltkrieg, geriet im Zuge der sogenannten „Operation Overlord“ –  der 1944 stattfindenden Landung der Westalliierten in der Normandie – in Kriegsgefangenschaft, wurde nach England und aufgrund Hitlers Ultimatum einen Monat darauf in die USA überliefert und verbrachte dort zwei Jahre in Haft.

Nach dem Kriegsende war er als Gemüsebauer und -händler tätig. In diesen Jahren  transportierte, kaufte und verkaufte der eiserne Geschäftsmann Produkte vom Wiener Naschmarkt bis nach Istanbul. Aufgrund einer vom Krieg zerbombten Brücke in seiner Heimatgemeinde, begann er mit dem Schotterabbau auf einem seiner Grundstücke, gründete daraufhin 1953 ein Sand- und 1961 ein Betonwerk. Weil ihm anfangs dazu die gewerbliche Genehmigung fehlte, drohte ihm der damalige erste Bezirkshauptmann nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem dreiwöchigen Arrest. Diese Causa ging so weit, bis er zu Leopold Figl ins Büro geladen wurde, wo die Angelegenheit schließlich  bereinigt wurde.

In den Folgejahren hat er durch ein spezielles Verfahren den verschleißsicheren Behaton-Stein entwickelt, der bis heute als Verbundpflasterstein in Verwendung ist. 1986 verkaufte Haindl das Werk an seinen Geschäftspartner Ebenseer.

Leopold Haindl sen. ist für mich eine der faszinierendsten Persönlichkeiten, die ich bis jetzt kennenlernen durfte. Und damit übertreibe ich keinesfalls. Eigentlich müsste ihm und seinem Leben  mindestens drei Bücher und eine Hollywood-Verfilmung gewidmet sein. Da dies aber nicht der Fall ist, sah ich mich dazu erkoren, für eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit und in weiterer Folge die Kamera auf ihn und sein langes Leben zu richten, um auf diese Weise einem größeren Publikum die Chance auf einen kleinen Einblick in fast ein Jahrhundert gelebte Geschichte zu ermöglichen.

Am Tag der ersten Aufzeichnungen öffnete uns ein durchaus skeptischer, aber freundlicher und zuvorkommender Herr in schwarzer Stoffhose, hellem, dünn gestreiften Hemd die Türe. Kurz blickte Herr Haindl prüfend über seine schmale Brille in unsere Gesichter und bat uns herein. In der Küche werkte bereits seine Frau, ich überreichte ihr die mitgebrachten Blumen und den Wein.

Er erkundigte sich nochmals sehr genau, wo ich die Aufnahme und daher auch seine Aussagen veröffentlichen werde. Nach meiner genauen Erklärung und einem kurzen Plausch schien er beruhigt und wir starteten mit dem Gespräch. Herr Haindl ließ sich sofort voll und ganz auf mich und meine Fragen ein, und so saßen wir gut zwei Stunden und plauderten über sein bewegtes Leben.

Von manchen gefürchtet, von einigen missverstanden, aber von vielen bewundert, verbringt der stets gut gekleidete Herr die Vormittage noch immer im Büro, fährt mit seinem grünen 560er Mercedes immer wieder bis nach Wien „oder auch ein bisschen weiter“ und beobachtet kritisch und mit klarem Geist das Weltgeschehen und seine Umwelt.

So war er noch mit 91 Jahren mit seinem Anwalt zu Gast in der ORF-Sendung Bürgeranwalt, um dort gegen den Bau einer Schnellstraße durch einen seiner Äcker aufzutreten. Mit „Nur über meine Leiche!“ kommentierte er die Möglichkeit, ohne seine Zustimmung sein Grundstück umzuwidmen. Diese Aussage war ein im Fernsehen dargebotener Beweis seines absoluten Lebenswillens und seiner  Einstellung zu seinem erwirtschaftetem Vermögen, Grund und Boden. Die Besonderheiten des von ihm entwickelten Pflastersteines – enorme Härte und die dadurch resultierende Unzerstörbarkeit – scheint der 93-Jährige verinnerlicht zu haben.

Der alte Mann und der Stein. Wer verbirgt sich hinter dem Herrn mit dem strengen Blick und den stechend blauen Augen? Richten wir unsere Ohren und Augen auf eine lebende Legende, ein Phänomen, einen eisernen Charakter. Leopold Haindl im Portrait.

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