NACHGEFRAGT

„Ich bin nie nicht Journalistin“

7. Dezember 2020

Conny Bischofberger ist eine der bekanntesten Journalistinnen Österreichs. Seit Jahrzehnten führt sie Interviews mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, die meiste Zeit davon für die Kronen Zeitung. „Als Journalistin triffst du vom Mörder bis zum Bundespräsidenten alle“, beschreibt sie die Vorteile ihres Berufs. Mit ihren großen Interviews bietet Bischofberger somit auch Menschen eine Bühne, die sich sonst nur am Rande unserer Gesellschaft drängen. Genau dafür wird die 60-Jährige immer wieder kritisiert. 

An einem bewölkten Nachmittag treffe ich mich mit Conny Bischofberger bei der Esslinger Furt, um von dort aus eine Runde durch die Lobau zu spazieren. „Diese düstere, neblige Stimmung erinnert mich an Georg Trakls Gedichte“, sagt sie mir zu Beginn unseres Treffens, während sie ihre orangefarbenen Lederhandschuhe anzieht. Mit „Lebenslust und Vitalität, aber auch Oberflächlichkeit und Mut“ wird die Farbe Orange verbunden, lerne ich in der aktuellen Ausgabe der Sonntags-Krone. Während des Spaziergangs durch den Nationalpark zeichnet mein Diktiergerät unser langes Gespräch auf. Es ist eine tiefgründige Unterhaltung über Bischofbergers Geschichte von ihr als Kind, das am Wirtshaustisch in Vorarlberg von den betrunkenen Gästen fasziniert war, bis hin zu ihrer Arbeit als Journalistin in Wien. Wir sprechen über ihren Zugang zu ihren Interviews, welche Rolle die Kronen Zeitung in unserer Gesellschaft spielt und natürlich auch über die Entstehung ihres ersten Romans „Herzschweißen“, der am 6. Dezember coronabedingt virtuell präsentiert wurde.

Andreas Kirchner: Du bist eine der bekanntesten Interviewerinnen Österreichs, wie fühlt sich dieser Rollenwechsel von der Interviewerin zur Interviewten an?

Conny Bischofberger: Das ist sehr ungewohnt für mich. Mein Credo ist immer, dass sich der Interviewer komplett zurücknehmen muss. Gute Interviewer bekommen zwar alles mit, sind aber unsichtbar. Wie ein guter Fotograf, den spürt man auch nicht. Gute Interviews leben eigentlich davon, dass der interviewte Mensch komplett im Vordergrund steht. Der Interviewer hilft ihm eigentlich nur, sich selbst zu erklären und vielleicht auch Neues über sich herauszufinden. Je mehr der Interviewer im Hintergrund bleibt und sich in keiner Sekunde wichtig nimmt, umso besser gelingt es. Darum ist diese andere Seite, dass ich quasi der wichtige Mensch bin, mir komplett fremd. 

Ist es Dir unangenehm, jetzt im Fokus zu stehen?

Unangenehm ist es mir nicht, ich bin es nur nicht gewöhnt. Ich weiß ja, wie schön es ist, wenn Menschen Fragen gestellt bekommen und dann zu überlegen beginnen. Es ist ja für den Interviewten auch immer schön. 

Die bereits verstorbene österreichische Journalistin Marga Swoboda hat über die junge Conny Bischofberger Folgendes geschrieben: „Menschen studieren – das war der Traum der siebzehnjährigen Aspirantin, als sie barfüßig in Bregenz die erste Redaktion betrat.“ Gibt es dazu eine Geschichte, warum Du barfüßig die Redaktion betreten hast oder darf man das nicht wörtlich nehmen?

Ehrlich gesagt, kann ich mich an das nicht erinnern. Mir sagen alle, dass ich barfuß gekommen bin, ich kann mir aber nicht vorstellen, wieso ich keine Schuhe angehabt habe. Vielleicht war es Hochsommer, vielleicht war es heiß, vielleicht war ich wirklich noch so jung, dass ich mir gedacht habe, dass man im Sommer nicht unbedingt Schuhe braucht. An das Hereinkommen kann ich mich erinnern, aber nicht an meine bloßen Füße. Aber ich muss jedes Mal lachen, weil es schlussendlich doch ganz gut zu mir passt. 

Wann hast Du in Deinem Leben gemerkt, dass dieses Studieren von Menschen für Dich eine Leidenschaft ist, die Dich nicht mehr loslässt?

Schon als Kind im Wirtshaus. Wenn alle betrunken waren, rauchten wie die Schlote und sich gegenseitig angeschrien haben oder wenn es Schlägereien gab. Oder zum Beispiel, wenn der Briefträger oder der Pfarrer kamen und meine Mutter gesungen und Ziehharmonika gespielt hat, dann hat mich eigentlich interessiert, wer diese Menschen sind, warum sie sich so benehmen und warum sie so viel trinken. Mich hat immer schon interessiert, warum Menschen etwas machen. Warum sagen sie Dinge, warum handeln sie, wie sie handeln. Egal, ob es da ums Betrinken geht oder um Kunst – es hat mich immer interessiert, warum Menschen tun, was sie tun, ohne es zu werten.

Das heißt, es war quasi in Deinem Blut, dass Du Journalistin werden musst.

Ich hätte auch Ärztin oder Juristin werden können. Dieses Interesse ist eigentlich in fast jedem Beruf wichtig, aber ich glaube als Journalistin hat man die meisten Möglichkeiten. Man trifft dann nicht nur Patienten wie die Ärztin, sondern alle Menschen. Als Journalistin triffst du vom Mörder bis zum Bundespräsidenten alle und kannst eigentlich in alle Menschen hineinschauen. Das ist so ein riesiges Privileg, das hat man eigentlich in sonst keinem anderen Beruf.

Wie verlief Dein Weg vom Kind am Wirtshaustisch, das den Besoffenen gern zuhört, bis zur effektiven Journalistin?

Ich war das sechste Kind von vier älteren Brüdern und einer älteren Schwester und bin in einem konservativen Milieu aufgewachsen. Meine Mutter hat Leute, die nicht ÖVP wählten, aus der Wirtshausstube geschmissen. Die SPÖ war für sie ein Feindbild, außer Kreisky, den hat sie geschätzt. In diesem konservativen Milieu wuchs ich als Mädchen auf, in einer Zeit, wo es noch immer so war, dass Frauen einfach weniger wert waren. Schon als kleines Mädchen habe ich das unfair gefunden. Eine Zeit lang wäre ich viel lieber kein Mädchen gewesen. Ich wusste, ich muss dort weg. Da ich genauso musikalisch wie meine Mutter war – ich habe Gitarre, Laute, Klavier, Blockflöte C und Alt und sogar Geige gelernt -, meinte sie, ich brauche nicht ins Gymnasium gehen, weil ich eh heiraten und das Wirtshaus übernehmen werde. Im Gegensatz zu ihr war ich aber ein scheuer Mensch. Sie war extrovertiert und hat mit jedem sofort kommuniziert, meine Mutter war eine typische Wirtin. Ich konnte nicht verstehen, wieso meine Mutter sagt, was mit mir einmal sein wird. Es ging sogar so weit, dass der Wirt, den ich hätte heiraten sollen, bereits auserwählt war. 

Von zehn bis 14 bin ich in die Hauptschule gegangen, wusste aber, dass es mir mit 14 gelingen muss, in ein Gymnasium zu kommen. In Innsbruck – das war damals von Vorarlberg dreieinhalb Stunden mit dem Zug entfernt – gab es ein Gymnasium. Die Direktorin war eine Bregenzerwälderin, also aus unserem Tal. Da dachte ich mir, dass sie mich eigentlich verstehen müsste, weil sie ja weiß, wie es bei uns ist und was bei uns die Frauen zählen. Ich dachte, wenn ich zu dieser Frau fahre und es ihr erkläre, wird sie mich vielleicht im Gymnasium aufnehmen. Mit 13 bin ich mit dem Zug von Bregenz nach Innsbruck ohne Fahrkarte und ohne es meiner Familie zu sagen gefahren. Ich musste vor dem Schaffner immer ins nächste Klo flüchten, um nicht erwischt zu werden. Im Gymnasium der Barmherzigen Schwestern habe ich der Direktorin meine Situation erklärt und meinte, dass ich auch gern ins Gymnasium gehen möchte. Sie fragte mich nach meinen Eltern, hat sich dann aber offenbar ein Herz gefasst und war von meiner Geschichte ganz fasziniert. 

Diese Notfall-Schubladengeschichten habe ich nicht, das wäre mir peinlich.

Irgendwann kam dann ein vanillegelber Mercedes mit der Direktorin des Gymnasiums, der Schwester Oberin vom Kloster und mit der Internatsleiterin über den Arlbergpass in den Bregenzerwald. Mit Tiroler Kennzeichen war man dort damals quasi Ausländer. Die Wirtshaustür ging auf und herein kamen diese drei Frauen, wie Wesen von einem anderen Stern. Bei uns waren zu diesem Zeitpunkt alle besoffen, auch meine Mutter war betrunken und hat gesungen und Ziehharmonika gespielt. Die Klosterschwestern versuchten in einer skurrilen Unterhaltung meiner Mutter beizubringen, dass die Tochter doch ins Gymnasium sollte. Nach einem längeren,  schwierigen Gespräch willigte sie ein, dass ich dort das neunte Schuljahr machen kann. Dieses neunte Schuljahr gab es an diesem Internat aber gar nicht und so habe ich in Innsbruck das Gymnasium besucht und dort die Matura gemacht. Und eben mit 17, ein Jahr vor der Matura, habe ich mich bei der Tageszeitung vorgestellt. 

Bloßfüßig.

Genau, angeblich. 

Du machst jetzt seit vielen Jahrzehnten – die meiste Zeit davon für die Kronen Zeitung – Interviews mit unterschiedlichen Personen. Wie wählst Du Deine Interviewpartner aus?

Nach Aktualität, Relevanz, Thema und nach der Person. Entweder ist das Thema so spannend, dass der Name in den Hintergrund tritt. Oder die Person ist so spannend, dass es – übertrieben gesagt – wurscht ist, was sie sagt. Aber dann muss es immer noch einen Anlass geben. Ich kann nicht out of the blue irgendeinen Prominenten interviewen, ohne, dass es dafür einen Anlass gibt. Ich habe sehr, sehr strenge Kriterien. Die Leute glauben oft, dass ich es mir ganz frei aussuchen kann, wen ich interviewe und wenn ich niemanden habe, habe ich einen Ersatz in der Schublade. Ich habe nie einen Ersatz, ich habe immer das Beste. Und wenn das Beste nicht geht, dann habe ich das Zweitbeste. Aber diese Notfall-Schubladengeschichten habe ich nicht, das wäre mir peinlich. Mir ist lieber, ich weiß am Freitag noch nicht, wen ich interviewe, als ich habe einen in der Schublade, für den ich mich dann genieren würde.

Dein persönliches Interesse spielt keine Rolle bei den Interviews?

Es deckt sich schon mit meinem persönlichen Interesse. Ich bin eine Vollblutjournalistin und natürlich interessiert mich immer das Aktuellste, Spannendste und Relevanteste. Das, worüber alle reden in diesem Moment. 

Wie bereitest Du Dich auf die Interviews vor?

Sehr, sehr intensiv. Keine drei Stunden, wie es Armin Wolf macht, das nicht. Intensiv im Sinne, dass meine ganzen Gedanken und meine ganze Energie und Zeit diesem Menschen gehört. Ich denke über ihn nach, ich lese über diesen Menschen, stelle mir vor, wie er sein wird. Ich frage mich, wie ich mit ihm das Thema am besten aufbereiten kann. Natürlich bereite ich mich mit den besten Fragen vor. Ich notiere sie und formuliere sie um, um sie noch pointierter, präziser und subtiler zu machen. Dann stelle ich mir die Frage, was ich von dieser Person herausholen will bzw. was meine Leser wollen. 

Was war Dein bisher interessantestes Interview?

Das war sicher der Dalai Lama. Einfach, weil da auch so ein großer Respekt von mir da war, der aber im Interview keine Rolle spielen darf. Wenn man zu viel Respekt hat, ist man der Person nicht neutral gegenüber. In diesem Fall war es eigentlich am schwierigsten für mich, in der Rolle der Journalistin zu bleiben. Es ist egal, dass ich den Dalai Lama bewundere oder er mir für mein Leben mit seiner Philosophie schon geholfen hat. Es ist natürlich schwieriger, wenn man jemanden gern hat, als wenn man die Person vielleicht privat nicht gern hat. Beides dürfen die Leser aber nicht merken.

Warst Du zufrieden mit diesem Interview?

Ja, sehr. Aber natürlich hauptsächlich wegen seinen Antworten. (lacht) Der Titel des Interviews war sein Zitat „Die Macht der Gedanken ist riesengroß“. Er hat mir erklärt, dass es ganz wichtig ist, was wir denken. Wir sollen unser Denken ständig beobachten und bewusst wahrnehmen, was wir denken. Weil das, was und wie man denkt, so auch deine Welt ist. Wenn man negativ denkt, passiert einem Negatives und wenn man positiv denkt, passiert einem Positives. Natürlich findet man das in 70.000 Büchern, aber er hat mir diese Lebensweisheit persönlich am besten erklärt.

Ich kann auf Französisch in einem Restaurant Austern bestellen, aber keinesfalls ein Gespräch führen.

Gab es ein Interview, das komplett aus dem Ruder gelaufen ist?

Ja, mit meiner Lieblingsschauspielerin, der Französin Jeanne Moreau in Paris. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch relativ jung und so begeistert, dass ich diesen Termin bekommen habe, dass ich vor lauter Begeisterung nach Paris geflogen bin ohne mich vorzubereiten, ohne mir zu überlegen, dass Jeanne Moreau französisch spricht. Was für eine Überraschung! Ich kann auf Französisch in einem Restaurant Austern bestellen, aber keinesfalls ein Gespräch führen. Vor Ort wurde ich von meiner Unprofessionalität überrascht und es ging total schief. Gerettet hat mich mein französischer Fotograf, der mir nach dem Interview ihre Antworten ins Englische übersetzt hat. Sie weigerte sich, während des Gesprächs ins Englische zu wechseln, so habe ich die Fragen auf Englisch gestellt und sie hat auf Französisch geantwortet. 

Ist es die Haltung, die Dir der Dalai Lama vermittelte, mit der Du sonst in Interviews gehst?

Man muss mit einer neutralen Haltung in Interviews gehen. Man muss so ins Gespräch gehen, als ob man diese Person noch nie getroffen hätte, als ob es keine Rolle spielen würde, ob diese Person eine Bank überfallen oder den Literaturnobelpreis gewonnen hat. Man geht einfach rein, schaut sich den Menschen an, fühlt, was ist und was er sagt. Man muss ohne Vorurteile in ein Interview gehen. Es ist wahnsinnig wichtig, dass man immer neutral bleibt. 

Sicher hätte ich Hitler interviewt.

Du hast in Deinen Beispielen schon ein paar Mal Verbrecher genannt, auch Mörder. Gibt es Menschen, die Du nicht interviewen würdest?

Ich glaube nicht, dafür werde ich ja oft kritisiert. Würde ich Hitler interviewen? Sicher hätte ich Hitler interviewt, auch wenn er einer der größten Massenmörder der Geschichte war. Aber man kann auch andere Beispiele nehmen, wie die Stewardess Christina „Kiki“ Kohl, die die Nummer 17 auf der Liste des Team HC Strache war und dann von der AUA gekündigt wurde, weil sie auf eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen ging. Sie sagt lauter Sachen, die ich nicht gutheiße. Dann wäre es aber ein Leichtes für mich zu sagen, dass ich ihr keinen Platz gebe und sie nicht interviewe. Das ist nicht meine Aufgabe. 

Aber es ist ja nicht so, dass sich in diesem Fall Frau Kohl an Dich gewandt hat. Du hast aktiv nach ihr gesucht und ihr ein Interview angeboten. 

Sicher, weil sie in dieser Woche die relevanteste Person war. Wenn dich die AUA hinaushaut, weil du auf eine Demo gehst, ist das an und für sich schon eine riesige Geschichte. Wenn sie bei Strache als 24-Jährige kandidiert, ist das einfach auch eine irrsinnig gute Geschichte. Dafür wurde ich dann wahnsinnig kritisiert, warum ich dieser Frau eine Bühne gegeben habe. Na sicher gebe ich dieser Frau eine Bühne.

Das heißt aber, es hat auch noch kein Interview gegeben, bei dem Du im Nachhinein gesagt hast, dass Du der Person vielleicht keine Bühne hättest geben sollen?

Wer entscheidet das?

Du.

Ja, aber eigentlich die Leser. Ist das Interesse da? Es geht auch darum, dass man die Personen, die man interviewt, mit ihren Meinungen konfrontiert und zum Beispiel die Stewardess fragt, wie sie dazu gekommen ist, so zu denken. Auch wenn man das vielleicht nicht herausholt aus ihr, aber es ist unsere Aufgabe, es zu versuchen. Ich habe nie Journalisten verstanden, die mich fragen, wie ich es schaffe, Strache oder Kickl zu interviewen. Das ist mein Job! Es ist egal, was ich über Kickl denke, aber es ist mein Job. Ich kann zum Beispiel nicht ein Prominenten-Komitee für Van der Bellen oder auch für Hofer unterschreiben, wenn ich Journalist bin. Das geht nicht! Ich kann auch nicht Mitglied einer Partei oder von Vereinen sein. Ich habe es nie verstanden, das ist nicht meine Auffassung von Journalismus.

Kannst Du Dich noch erinnern, wie wir uns kennengelernt haben?

Daran habe ich heute schon gedacht, mir fällt es aber nicht ein.

Ich habe die Kronen Zeitung öffentlich – wahrscheinlich auf Twitter – kritisiert und Du hast mich daraufhin in Dein Büro geladen und mit mir über meine Kritik gesprochen. Du arbeitest jetzt so lange für die Kronen Zeitung. Nimmt man Kritik an der Zeitung dann irgendwann persönlich?

Nein, überhaupt nicht. Persönlich nehme ich eigentlich nur, was Freunde mir sagen und wenn mich das verletzen würde. Ich nehme es nicht persönlich, wenn mir jemand sagt, dass ich die schlechtesten Interviews schreibe oder eine Frau mit Intelligenzdefizit sei. Würde ich das persönlich nehmen, wäre ich im falschen Beruf. Das hat mit mir und meiner Person null zutun. Meine Arbeit kann jeder kritisieren. Wenn es auf eine persönliche Ebene geht und so etwas Schirches kommt, dann weiß ich mich zu wehren.

Welche Rolle erfüllt eine Boulevardzeitung, wie auch die Kronen Zeitung eine ist, in unserer Gesellschaft?

Eine sehr wichtige. Die Kronen Zeitung ist ein Seismograph der Politik, der Gesellschaft, der Stimmung und der Menschen dieses Landes. Es passt auch vielen an der Krone nicht, dass sie eben nicht versucht, ihre Leser zu missionieren und auf den rechten Weg zu bringen. Hans Dichand hat die Krone nie als Boulevardzeitung bezeichnet und ich finde auch, dass es keine Boulevard-, sondern eine Massenzeitung ist. Eine Massenzeitung hat die Aufgabe in einer immensen Breite von Jung bis Alt, von links bis rechts, von gebildet bis soziale Schichten, die andere vielleicht gar nicht erfassen, die Wirklichkeit abzubilden. Wir sind nicht dazu da, schönzureden, sondern abzubilden, was ist. 

Was unterscheidet eine Boulevardzeitung von der, wie Du sagst, Massenzeitung?

Die Krone hat ein höheres Niveau als jede Boulevardzeitung, weil wir eine sehr hohe Kolumnen-Kultur haben. Die Meinungselemente sind irrsinnig wichtig. Wir haben Kultur, Bücherseiten, Reportagen, bei uns schreibt der Kardinal. Bei uns gibt es die Tierecke, die sich um Tiere und um Pensionisten kümmert, die sich die Operationen für ihre Tiere nicht leisten können. Das ist ein riesiges Budget. Wir haben Barbara Stöckl als Ombudsfrau. Die Kronen Zeitung ist ein riesiges Sozialwerk. Es gibt kein Problem, das Leser nicht an uns herantragen können, mit dem wir uns nicht befassen. Wir kümmern uns um jeden! So gesehen sind wir keine Boulevardzeitung, wir sind eine Institution.

Wie geht es Dir mit der Luft? Wir spazieren hier gerade eine relativ große Runde durch die Lobau, Du hattest vor kurzem eine Covid-19 Erkrankung.

Mit der Lunge und der Atmung hatte ich Gott sei Dank nie Probleme, ich hatte ganz milde Symptome. Eigentlich meinten manche Menschen, ich hätte mich gar nicht äußern sollen, weil meine Symptome eigentlich ein Witz waren. Meine Symptome waren eigentlich nicht der Rede wert, aber in meinem Fall ging es gar nicht um die körperlichen Symptome, sondern um den seelischen Aspekt dieser Krankheit. Es ist unglaublich, wie dich das trifft, wenn du vom positiven Ergebnis erfährst und über 20 Leute die letzte Woche getroffen hast. Allein der Gedanke, dass du einen davon angesteckt haben könntest, der vielleicht älter ist oder eine Vorerkrankung hat und im schlimmsten Fall vielleicht sogar wegen dir sterben könnte. Das ist so belastend, man glaubt es nicht.

Du wurdest auf Twitter heftig dafür kritisiert, weil Du Dich – obwohl Du Dich ein paar Tage davor krank fühltest – mit der schwangeren Justizministerin Alma Zadić für ein Interview getroffen hast. 

Das Gefühl des Krankseins ging wieder weg. Ich hatte kein Halsweh mehr und auch keine Symptome. Im Nachhinein gesehen, hab ich mich vielleicht nicht so 100-prozentig fit gefühlt, aber man fühlt sich ja nicht jeden Tag gleich. Ich habe mich definitiv nicht krank gefühlt. Wer macht bitte, wenn er einmal ein Kratzen im Hals hat, aber kein Fieber, gleich einen Corona-Test? 

Ich wurde von vielen gefragt, wie man in Corona-Zeiten noch persönliche Interviews machen kann. Sieht man bei anderen Interviews irgendein Foto, auf dem jemand beim Reden eine Maske trägt? Gibt es irgendein Fernsehstudio, wo man die Maske aufbehält? Bei mir war es plötzlich ein Problem. Da habe ich oft den Eindruck, diesen Leuten geht es nur darum, auf die Krone hinzuhauen und sie lesen gar nicht, was ich darüber geschrieben habe. Ich stelle bei Kritik – die oft auch berechtigt ist – an der Krone fest, dass diejenigen, die am ärgsten kritisieren, die Zeitung gar nicht lesen. Ich erwarte mir schon, wenn ich kritisiert werde, dass meine Arbeit auch gelesen wird. Einfach nur zu kritisieren und dann zu meinen, die Krone sowieso nicht zu lesen, geht nicht. Ich versuche aber, mich mit allen auseinanderzusetzen. 


Teepause vis-à-vis des ehemaligen Lobau-Museums.

Eigentlich hättest Du am Sonntag, an dem Du in der Kronen Zeitung Dein Corona-Tagebuch veröffentlicht hast, Grund zu feiern gehabt. Dein Roman „Herzschweißen“ wäre erschienen, aufgrund des Lockdowns wurde der Erscheinungstermin auf den 6. Dezember verschoben. Was hat Dich dazu bewegt, vorübergehend von der Journalistin zur Romanschreiberin zu werden?

Es gab in meinem Kopf immer einen Raum, in dem ich Sätze, Erlebnisse und Erfahrungen, die mir bemerkenswert erschienen oder die mich berührt haben, abgespeichert habe. Eigentlich hatte ich immer Angst, dass ich es vergessen könnte, weil ich es nie aufgeschrieben habe, mir aber dachte, dass ich irgendwann einmal etwas damit machen möchte. Seit dem Frühling ist sehr viel privat in meinem Leben passiert. Da habe ich mir gedacht, jetzt wäre es an der Zeit, es aufzuschreiben. Ich habe begonnen, mir Dinge zu notieren und so wuchs die Idee, einen Roman zu schreiben. Es ist zwar eine Liebesgeschichte, für mich ist es aber vor allem die Geschichte der Liebe zur Sprache. In dem Roman geht es, abgesehen von der Lovestory, in der zwei Männer eine Rolle spielen, vor allem um die Sprache und die Beziehung zu dem Mann, den diese Journalistin in diesem Roman per Mail kennenlernt. Dieses Kennenlernen lebt und entwickelt sich durch die Sprache – sie kommen sich eigentlich über das Schreiben nahe. 

Die Protagonistin Isabella Mahler ist Journalistin bei einer großen Tageszeitung und ist ungefähr in Deinem Alter. Wie viel Wahrheit steckt in diesem Roman?

Es ist stark autobiographisch, was diese Hauptfigur betrifft. Das will ich gar nicht leugnen, diese Figur ist ziemlich die Conny Bischofberger. Aber natürlich nicht vollständig. Es gibt viele Aspekte, die mit mir nichts zutun haben. Es ist trotz allem eine Figur, die ich erfunden habe, die aber sehr viel mit mir zutun hat. Die Männer habe ich mehr oder weniger schon erfunden, obwohl es reale Vorbilder dafür gibt. Jemand hat gesagt, dieses Buch ist eine Autofiktion. Ich weiß gar nicht, ob es dieses Wort gibt. Es ist ein stark autobiografischer Roman mit fiktionalen Elementen. 

Wie ging es Dir beim Schreiben des Romans? Sonst musst Du Dich in Deinen Kolumnen sehr kurz halten, jetzt war es ein ganzes Buch.

Es war wie, als wäre ich in eine neue sprachliche Welt eingetaucht. Ich habe gespürt, wie schwierig es ist, wenn du immer präzise auf den Punkt in relativ knapper Form eine Kolumne schreiben musst, plötzlich aber das Gegenteil machst. Du gehst ins Detail, beschreibst noch einen Moment, noch eine Situation, noch eine Beobachtung. Ich habe mich immer gefragt, wen das alles interessiert und was ich da noch alles schreiben soll. Die Kapitel sind trotzdem relativ kurz geblieben, weil ich wollte, dass das Buch Tempo hat. Diese Langatmigkeit wollte ich nie. Ich musste aber lernen, länger zu schreiben. Vor allem habe ich auch viel über das Romanschreiben gelernt. 

Mein Verleger hat mich gewarnt: Super, wenn du einen Roman schreiben willst, aber denk dran, dass schon viele tolle Journalisten daran gescheitert sind. Ich hatte keine Ahnung, wie schwierig es ist, eine Geschichte zu entwerfen und diese dann zu spinnen. Diese Fäden müssen zusammenlaufen, es muss einen Sinn ergeben, es muss spannend sein, es muss Plot-Twists und Überraschungen geben, das Ende muss irgendwie cool sein. Ich habe das total unterschätzt. Ich habe mich einfach hingesetzt und bin ins kalte Wasser gesprungen und habe drauf los geschrieben. Mit meinem Verleger Bernhard Salomon hatte ich wirklich ein unglaublich tolles Korrektiv. Nachdem ich die weiteren zwei Kapitel fertig hatte, habe ich ihm diese immer geschickt und er hat mir sofort Rückmeldung gegeben. Somit habe ich beim Schreiben wahnsinnig viel gelernt.

Du hast Dich beim Schreiben zurückgezogen, von Deiner journalistischen Arbeit für drei Wochen Abstand genommen. Wo hast Du das Buch geschrieben?

Im Hotel. Ich wollte den Roman eigentlich in Barcelona schreiben, weil mein Sohn dort studierte und eine ganz schöne Wohnung hatte. Ich habe diese Wohnung dann noch weiter gemietet, weil ich mir vorgestellt habe, dass ich in Barcelona am Meer, am Platz neben der Markthalle schreibe, dann runter gehe, ein paar Tappas esse, danach weiter schreibe. Aufgrund der Reisewarnung Stufe 4 wegen Covid-19 konnte ich nicht mehr nach Barcelona fliegen und wollte dann in mein Haus in Ungarn. Dann sperrte Orban das Land zu und ich konnte auch nicht mehr dorthin. 

Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir, ob da vielleicht etwas Höheres ist, das nicht will, dass ich dieses Buch schreibe. Ein guter Freund riet mir, ins Hotel zu gehen, wo diese Geschichte begonnen hatte. Anfangs wollte ich nicht, weil ich ja ungefähr einen Kilometer von diesem Hotel entfernt wohne, habe mich dann aber trotzdem dafür entschieden, weil der Freund meinte, dass mich das genau in diese Stimmung versetzt. Somit zog ich eine Woche ins Hotel, das auch im Buch eine Rolle spielt. Nach dieser ersten Woche habe ich den Verleger angerufen, um ihn darüber zu informieren, dass ich mit der Hälfte des Romans fertig bin und wieder zurück in die Krone gehe. In vierzehn Tagen wollte ich mir noch eine Woche frei nehmen und den Rest schreiben. Der Verleger meinte aber, ich solle doch unbedingt im Hotel bleiben, weil ich jetzt gerade im Schreiben bin, er zahlt mir auch noch eine Woche im Hotel. Somit blieb ich eine zweite Woche im Hotel. Am Ende dieser zweiten Woche haben mir noch die letzten drei Kapitel gefehlt und ich wollte meinem Verleger sagen, dass ich jetzt auschecke und heimfahre. Und er meinte nur, dass ich im Hotel bleibe, bis ich es fertig habe. Es war schon fast wie ein Befehl. Ich hab eh gewusst, dass er recht hat. Und so war ich für dieses Buch drei Wochen im Hotel.

Gab es irgendwann einen Moment, in dem Dir die Inspiration fehlte und Du das Buchprojekt abbrechen wolltest?

Es gab schon schwierige Momente, in denen ich nicht weiter wusste und ich das Projekt hinterfragt habe. Aber so, dass ich gedacht habe, ich schreibe es nicht oder ich gebe auf, war es nicht. Ich bin keine, die aufgibt. Wenn ich mir etwas vornehme, egal wie schwierig es ist, mache ich es fertig. 

Irgendwann werde ich wissen, wie das Buch riecht.

Wie war das Gefühl, das erste Mal das Buch in gedruckter Form in Händen zu halten?

Das war das schönste Gefühl überhaupt! Aufgrund meiner Corona-Erkrankung habe ich zwar nichts gerochen, aber irgendwann werde ich wissen, wie das Buch riecht. Es ist für mich immer das Schönste, am Buch zu riechen, das Papier anzugreifen, über die Titelseite zu streichen. Es ist Glückseligkeit. Das Buch ist mir ja monatelang ans Herz gewachsen, mittlerweile ist es mir schon fast wieder fremd geworden. Aber trotzdem habe ich in den letzten Wochen, in denen ich zuhause war, es immer wieder zur Hand genommen, irgendeine Seite aufgeschlagen und zu lesen begonnen. Egal, an welcher Stelle ich gelesen habe, es hat mir immer gefallen. 

Schreibst Du schon am zweiten Teil?

Nein, um Gottes Willen! Das wäre zu langweilig. 

Die Schriftstellerinnenkarriere war also nur kurz.

Ich weiß nicht, vielleicht schreibe ich noch einen Roman, aber keinesfalls einen zweiten Teil. 

Lass uns noch einmal zum Ursprung unseres Gespräches zurückkehren. Einer Deiner Workshops heißt „Das perfekte Interview“. Gibt es das perfekte Interview?

Immer wieder. Es kommt natürlich auf die Ansprüche an. Für mich ist jedes Interview perfekt, bei dem ich etwas ganz Neues, Interessantes erfahre oder bei dem mir ein bestimmter Satz auffällt, der mir gefällt. Ja, es gibt schon ziemlich perfekte Interviews. Natürlich passieren immer Dinge, die vielleicht nicht perfekt sind, aber das gehört auch dazu. Ich bin nicht so streng zu mir selbst. Wenn ich mich angestrengt habe und wenn es einigermaßen gut gelaufen ist, bin ich auch zufrieden mit mir. Ich kann mich dann auch freuen drüber. 

Da geht es mir genau umgekehrt. Ich gehe aus meinen Interviews raus und bin voller Selbstzweifel. 

Ich denke mir immer, dass es schon 3.000 mal ziemlich gut gegangen ist, dann wird es das 3.001 mal auch nicht ganz schlecht sein. Bis jetzt war es nicht so schlecht, also wird auch das nächste nicht noch schlechter werden, sondern eher besser. 

Du machst jetzt schon so lange Interviews, lebst Deine Leidenschaft aus: Kannst Du Dir vorstellen, irgendwann in den Ruhestand zu gehen?

Nein. Was soll ich da machen? Ruhestand ist für mich undenkbar. Ich bin auch im Urlaub nicht im Ruhestand, ich bin 24-Stunden-Journalistin. Ich kaufe auch in China die Zeitung, obwohl ich sie nicht lesen kann. Einfach, um das Layout anzuschauen. Am Foto sehe ich dann, welche Geschichte auf der Titelseite ist. Ich bin nie nicht Journalistin. Ich werde immer irgendetwas machen. Ob ich bis an mein Lebensende Interviews mache oder für eine Zeitung weiter schreibe, weiß ich nicht, aber ich werde immer aktiv sein. Ruhestand widerspricht meinem gesamten Naturell und meiner Persönlichkeit. 

Vielen Dank für Deine Zeit!


Titel- und Portraitfoto: ©Andreas Kirchner

Meine Empfehlungen: