FREIGEDACHT

Biber-Fieber

15. August 2016

Man könnte meinen, 2016 sei das Jahr der Pokémon. Diese kleinen, bunten Monster stehlen dem wahren Tier des Jahres ungeniert die Show. Tausende Menschen legen weltweit enorme Strecken zurück und investieren sehr viel Zeit, um die Monster zu finden und zu fangen.

In Österreich hingegen wurde einem realen Tier, das ambivalente Gefühle in der Bevölkerung auslöst, vom Naturschutzbund der Titel „Tier des Jahres 2016“ verliehen. Dem Europäischen Biber, wissenschaftlich auch Castor fiber genannt. Während dadurch heuer die mediale Aufmerksamkeit vermehrt auf den größten Nager Europas gelenkt wird, gibt es eine Nationalpark-Rangerin in den Donau-Auen, die dem ans Leben im Wasser bestens angepassten Tier bereits seit Jahren ihr Leben verschrieben hat.

WAS KONRAD LORENZ BEI GÄNSEN, IST BARBARA MERTIN BEI BIBERN
In Österreich wurde der Biberbestand 2015 auf rund 5.900 Tiere geschätzt, von denen etwa 3.900 in Niederösterreich leben sollen. Hier ist auch eine der vehementesten Kämpferinnen für den Europäischen Biber unterwegs. Die Nationalpark-Rangerin Barbara Mertin – besser bekannt unter dem klingenden und durchaus einleuchtenden Pseudonym Biber-Bärbl – wird nicht müde, die Notwendigkeit des Schutzes des Bibers zu betonen. In speziellen Touren durch den Nationalpark Donau-Auen und in den sozialen Medien aktiv, setzt sie sich für ihre nagenden Freunde ein.

In der Oberen Lobau nahe Groß-Enzersdorf befindet sich sogar ein Bibergehege, in dem interessierte Besucher ein Exemplar des größten europäischen Nagetiers beobachten (nicht streicheln oder füttern!) können. Natürlich kommt bei dieser Schilderung die Frage auf, warum mitten im Nationalpark ein Biber sein Leben in einem Gehege fristen muss. Flumy – so wurde das Tier genannt – ist ein Findelkind aus dem Wiental, welches am Institut für vergleichende Verhaltensforschung in Wien aufgezogen wurde. Dies von keiner Geringeren als der Biberspezialistin Barbara Mertin. Ein Auswildern wäre für das an Menschen gewöhnte Tier zu riskant gewesen. Deswegen bekam Flumy vom Forstamt der Stadt Wien in dem rund 70 Meter langen und 30 Meter breiten Areal ein Wohngebiet auf Lebenszeit. Am südlichen Ende des Areals befindet sich eine Aussichtsplattform, von der aus man einen guten Überblick hat. Zahlreiche Bild- und Texttafeln informieren über das Verhalten, den Lebensraum und die Entwicklung des Nagers und seiner in freier Wildbahn lebenden Artgenossen.

Wer die Biber-Enthusiastin in Action sowie den dämmerungs- und nachtaktiven Nager auch in freier Wildbahn erleben möchte, der sollte an einer Biberperspektiven Bootstour mit vorangehender humoriger Wissensvermittlung teilnehmen. Barbara Mertin schafft es, in einer sehr kurzweiligen, unterhaltenden und ebenso fesselnden Präsentation die wichtigsten Fakten verständlich zu erklären und die größten Irrtümer zum sogenannten Donaubiber aufzuklären. Mithilfe von vielfältigem Anschauungsmaterial und kindgerecht, aber mit einem durchaus politisch nicht immer ganz korrektem Humor, gibt Bärbl ihr Wissen an die interessierten Teilnehmer der Tour weiter.
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„Öffentlichkeitsarbeit für den Biber ist für mich, wie für Galileo Galilei der Menschheit zu erklären, dass die Erde keine Scheibe ist.“

Dieser Satz, mit dem sich die Rangerin selbst beschreibt, trifft Mertins Engagement sehr gut. Ihre Passion, ihren Antrieb verfolgt und vermittelt sie dabei weder belehrend, noch mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit viel Witz, der nötigen Ernsthaftigkeit und mit der feinen Kunst, über sich selbst lachen zu können. Ein ihr besonders wichtiger Teil dieser Biber-PR ist das Aufklären von Vorurteilen und Missverständnissen. Dies scheint aufgrund ihrer Erzählungen auch dringend notwendig. In unseren Köpfen haben sich einige Falschinformationen verankert, die es aufzuklären gilt.

⊗ IT’S NOT A BEAVER!
Schon wenn es um das Erkennen des Bibers geht, scheitert es nach wie vor bei vielen. Der Europäische Biber wird oft mit dem Sumpfbiber (auch Nutria genannt), einer aus Südamerika stammenden und in Mitteleuropa eingebürgerten Nagetierart, verwechselt. „Ich bin nicht oft in Schönbrunn, aber wenn, dann besuche ich das Nutria-Gehege. Da kommen tatsächlich Eltern hin und erklären ihren Kindern, dass es sich hier um einen Biber handelt. Obwohl ganz klar ‚Nutria‘ auf dem Informationsschild steht.“, so Mertin. Nutrias sind dem Körperbau dem Biber zwar ähnlich, jedoch kleiner und auch der Schwanz hat nicht die charakteristische Form der des Bibers.

⊗ FISCH FÜR DEN BIBER?
Hartnäckig hält sich das Gerücht, der Biber ernähre sich von Fisch. Der Nager mit den großen, orange-rot gefärbten Schneidezähnen ernährt sich nicht tierisch, sondern ist reiner Pflanzenfresser. Bei einem Nahrungsspektrum von bis zu 300 Pflanzenarten ernährt sich der Biber im Sommerhalbjahr vor allem von saftigen, nährstoffreichen krautigen Pflanzen, während er in den  Wintermonaten bevorzugt Rinde von Weiden und Pappeln frisst. Fisch oder andere Lebewesen stehen nicht auf seinem Speiseplan.

Der Großteil der Nahrung besteht aus Pflanzenfasern, deren Hauptbestandteil Cellulose ist, die im Darm von Säugetieren allerdings nicht abgebaut werden kann. Daher leben in den vergrößerten Blinddärmen pflanzenfressender Nagetieren symbiotische Bakterien, von denen die Cellulose abgebaut wird. Der Blinddarminhalt wird vom Biber direkt wieder aufgenommen, die eigentliche Losung besteht aus unverdaulichen Holzresten.

⊗ DAMM? BURG? BAU!
Die nordamerikanischen Verwandten des bei uns heimischen Bibers bauen Dämme, wenn der Wasserstand unter einem halben Meter liegt um fließendes Gewässer zu stauen. Burgen werden nur gebaut, wenn keine Böschungen vorhanden sind. Da der Donaubiber ausreichend Böschung zu Verfügung hat und der Wasserspiegel ausreicht, besteht die Notwendigkeit eines Dammes oder einer Burg in unseren Breiten nicht. Heimische Biberfamilien leben daher in einem selbstgemachten Erdbau, deren Eingänge stets unter der Wasseroberfläche liegen und aus mehreren Röhren bestehen, die zu den über dem Wasser liegenden Wohnkessel führen.

⊗ WIE DIE KARNICKEL?
„Biber vermehren sich doch wie die Karnickel!“ Mit diesem Vorurteil sieht sich Barbara Mertin immer wieder konfrontiert. Man könnte meinen, ob der Ermangelung von natürlichen Feinden, könnte die Biberpopulation zu hoch werden. Stimmt nicht! Die Biberpopulation regelt sich von selbst. Sogar in Gebieten, in denen der Biber mit Wölfen und Bären zusammenlebt, gibt es keine Räuber-Beute-Beziehung. Das heißt, die Population dieser Tiere beeinflussen sich nicht gegenseitig, obschon natürlich Biber hin und wieder einem größeren dieser Raubtiere zum Opfer fallen.

Der Biber ist sozial und territorial, das heißt er lebt im Familienverband in seinem Revier und verteidigt dies gegen andere, fremde Biber, die nicht zu seiner Familie gehören. Die häufige Reviermarkierung durch das Aufplatschen mit deren Kelle und das Verteilen der Duftmerkmale kann für den Biber derartig stressig sein, dass es bis zur Infertilität führen kann bzw. Biber der Jungenaufzucht nicht genügend Aufmerksamkeit mehr schenken. Auch das Hochwasser kann für die schwimm- und tauchunfähigen Jungen zum Tod führen, sofern sie die Mutter nicht vorher in Sicherheit bringt.

Zudem müssen die zweijährigen Biber ihre Familie verlassen und sich auf Wanderschaft entlang der Gewässer machen, um sich einen Partner und ein neues Revier zu suchen.

⊗ IST DER BIBER HEIMISCH?
Ja. Laut Chronik wurde 1869 der letzte Biber in Österreich in Anthering bei Salzburg erlegt. Dann folgte eine Periode von über 100 Jahren, in der der Biber in Österreich als ausgerottet galt. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in ganz Europa nur noch vier Restpopulationen. Ab dem Jahr 1976 wurden Biber in Österreich wieder angesiedelt, darunter auch kanadische Tiere (weltweit gibt es zwei Biberarten, den kanadischen bzw. nordamerikanischen Castor canadensis und den europäischen bzw. euroasiatischen Castor fiber). Aufgrund regelmäßiger Untersuchungen von unzähligen im Freiland gesammelten Totfunden, kann man heute – 40 Jahre später – mit Sicherheit die Präsenz von kanadischen Bibern ausschließen.

SEHR, SEHR BIBERGEIL
Wer sich jetzt eine animalische Pornogeschichte erhofft, den muss ich leider enttäuschen. Einer der Gründe, warum der Biber in unseren Breiten ausgerottet war, ist das Bibergeil, auch Castoreum genannt. Ein Sekret aus den beiden zwischen After und Geschlechtsorganen  befindlichen Drüsensäcken des Bibers. Die fetthaltige Flüssigkeit wird sowohl vom männlichen, als auch vom weiblichen Biber zur Markieren ihres Territoriums genutzt. Im Gegensatz dazu werden die ebenso paarig vorhandenen Öldrüsen zum Einfetten des Felles verwendet.

Im 19. Jahrhundert wurde das harzartige und bräunliche Bibergeil in der Medizin gegen Krämpfe, hysterische Anfälle, Nervosität und vieles mehr eingesetzt. Die Nachfrage war so groß, dass es zur Gefährdung des Bibers kam. Heute ist das streng duftenden Sekret lediglich in der Homöopathie von Bedeutung. In Apotheken ist es unter „Castoreum canadense“ als Tinktur und in Pulverform erhältlich, in der Parfümerie wird ihm eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt und ist daher nach wie vor Bestandteil einiger Parfüms. In den USA ist Castoreum als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. Diese Zulassung ist aber nicht unumstritten, da sie sich auf die Biberjagd in Nordamerika und in weiterer Folge auf die Biberpopulation negativ auswirkt. Sollten Sie sich jemals in Skandinavien aufhalten und die eigene Moral gerade tief sitzen, bestellen Sie „Bäverhojt“. Bei diesem traditionellen Schnapsgetränk wird Bibergeil zur Aromatisierung eingesetzt.

Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts galt der Biber in Europa als nahezu ausgerottet. Sein dichtes Fell, das zu Kleidung verarbeitet wurde, machte ihn ebenso zum Jagdobjekt, wie sein Fleisch. Eigentlich hatte Papst Gregor im Jahr 905 das Fleisch „warmblütiger Tiere“ während der Fastenzeit verboten. Nachdem war Fisch als Nahrungsmittel erlaubt. Wie als wäre es Pflicht jedes streng gläubigen Menschen, die religiösen Vorgaben nach eigener Logik auszulegen, wurde der Biber gemeinsam mit diversen Wasservögeln kurzum zu den Fischen gezählt. Der Biber ist zwar ein Nagetier, aber aufgrund seiner hohen Lebenszeit, die er im Wasser verbringt und seines schuppigen Schwanzes, beschloss das Konstanzer Konzil (1414 – 1418): „Biber, Dachs, Otter – alles genug“.

Noch 1775 erklärte der französische Jesuitenpater Pierre François Xavier de Charlevoix: Bezüglich des Schwanzes ist er ganz Fisch, und er ist als solcher gerichtlich erklärt durch die Medizinische Fakultät in Paris, und im Verfolg dieser Erklärung hat die Theologische Fakultät entschieden, dass das Fleisch während der Fastenzeit gegessen werden darf.“ Aufgrund der steigenden Beliebtheit wurde der Biber nahezu ausgerottet. Heute steht der Nager bei uns unter Naturschutz.

GELIEBT, GEHASST, GEDULDET
Nur wenige Tiere polarisieren aufgrund ihrer Lebensart so, wie der Biber. Probleme entstehen vor allem dann, wenn sich die Lebensräume von Biber und Mensch überschneiden. Hauptsächlich Fraßschäden machen dem Biber bei einigen Bauern einen schlechten Ruf. Zu dieser Diskussion fiel Barbara Mertin folgendes ein: Zuerst bauen die Menschen – wenn es lange keine größeren Überschwemmungen gibt – zu nahe ans Wasser, dann klagt man über Schäden. Im Gegensatz zu anderen Regionen, wie an der Elbe, wo man mit dem Biber zu leben gelernt hat, wurde er bei uns vergessen. Das Abfangen von Bibern funktioniert nur, wenn man sie ausrotten will. Denn alle Gewässer, die mit der Donau verbunden sind, werden innerhalb kürzester Zeit wieder besiedelt.“

Ob ein reibungsloses Nebeneinander von Mensch und Biber jemals möglich sein wird, bleibt fraglich. Sicher ist, die Nationalpark-Rangerin Barbara Mertin wird weiterhin Zeit und Elan in die Aufklärungsarbeit rund um den Europäischen Biber investieren und sich so für ein gutes, faktenorientiertes Zusammenleben vom Menschen und dem größten Nager Europas einsetzen. Im Sinne des Bibers, im Sinne des Naturschutzes und letzten Endes auch im Sinne des Menschen. Wie ich das finde? Ziemlich bibergeil!


Für weitere Informationen zum Biber, den Donau-Auen
oder geführten Touren besuchen Sie www.donauauen.at

Titelfoto: ©Mark Giuliucci

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