FREIGEDACHT

Es wurde Licht

7. Februar 2021

Als ich um 05:15 Uhr meine Augen öffne, den in strahlend kräftiges Orange gefärbten Horizont vor mir sehe und mich langsam auf den Rücken drehe, um meinen Blick Richtung Himmel zu werfen, waren die Sterne nicht mehr zu sehen. Das Bild war nicht mehr dasselbe, wie vor ein paar Stunden, als ich meine Augen vor Erschöpfung, aber zufrieden und voller Begeisterung geschlossen habe. In diesem Augenblick der bitteren Erkenntnis durchströmt mich eine tiefe Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die aber auch einen Hauch von Schönheit innehat. Eine Schönheit, die auf Vergänglichem beruht und trotzdem die Verlässlichkeit besitzt, immer wiederzukehren.

Eine bessere Nacht hätten wir nicht erwischen können. Der Wind, als fehlender Gast auf der Feier der meteorologischen Ereignisse, sowie der beinahe gänzlich vom Erdschatten bedeckte Mond als Sichel, die sich nur bis kurz nach dem Sonnenuntergang blicken lässt, um danach wieder hinter dem Horizont zu verschwinden. Zudem war es rundum wolkenlos, einzig ein paar hundert Meter entfernt ein Wolkenband, das sich um einen Berggipfel schlingt und immer wieder Blitze in genau denselben abgibt. Der Ort der Übernachtung auf 1893 Meter Höhe ist ein magischer. Bedeckt von der gut erkennbaren Milchstraße, scheint man hier mit dem Universum in absoluter Stille zu verschmelzen. Nur die unendlich weit entfernten Sterne als unzählbare Lichtquellen, die mir beim Wiedererkennen mancher Sternbilder die Sicherheit geben, doch auf der Erde und nicht auf einem anderen fernen Planeten zu liegen, bedecken den Himmel.

Nichts übt so sehr Faszination auf die Menschheit aus, wie der funkelnde Sternenhimmel bei Nacht, die unendlichen Weiten voller unerforschter Welten und die Frage nach der Wiege des Lebens. Das Thema Weltraum mit all seinen Begleiterscheinungen ist präsent, seitdem der Mensch des hinterfragenden Denkens mächtig ist. In den letzten Jahrzehnten rückt diese Faszination immer mehr in den Mittelpunkt unserer Gesellschaft. Ganze Forschungsrichtungen beschäftigen sich damit, Himmelsobjekte dienen seit jeher als Inspirationsquelle für Künstlerinnen und Künstler jeglicher Art, philosophisch und auch politisch steht das Weltall immer wieder im Fokus. Letzteres leider in den wenigsten Fällen mit positiven Hintergedanken. Diametral zu dieser Entwicklung ist es die vom Menschen verursachte Lichtverschmutzung, die immer mehr zunimmt und uns den ungetrübten Blick auf den Sternenhimmel, das wohl größte Kunstwerk der Natur, verwehrt. Wer aber einmal die Chance hat, in einer wolkenlosen Nacht bei Neumond auf dem hohen Gipfel eines Berges im Freien zu übernachten, der wird sich der imposanten, allumfassenden Wirkung des Sternenhimmels nicht entziehen können.

Wissenschaftlich gesehen ist es bereits ein Fakt, dass zu viel künstliches Licht im menschlichen Körper die Produktion von Melatonin, des sogenannten „Schlafhormons“, unterdrückt. Aber auch die Zahl der sichtbaren Sterne nimmt dadurch vor allem am Nachthimmel rund um Großstädte ab. Wobei auf der einen Seite die Auswirkungen des zu geringen Melatonin-Spiegels erforscht sind, gibt es keine seriösen Studien zur Auswirkung auf das Verschwinden der natürlichen Sicht auf den Sternenhimmel auf die menschliche Psyche. Doch was bedeutet der Verlust des freien Blickes auf dieses Naturjuwel? Die renommierte US-amerikanische Astronomin Jill Tarter hat eine klare Ansicht, wenn es um die Beziehung zwischen Mensch und Kosmos geht. „Wir sind innig mit diesen fernen Zeiten und fernen Orten verbunden, weil es einen Kosmos braucht, um einen Menschen zu machen.“ Aber gehen wir noch einen Schritt weiter und lassen für einen Moment die Hypothese der Panspermie als Wahrheit gelten. Dieser vom Nobelpreis tragenden schwedischen Physiker und Chemiker Svante Arrhenius Anfang des 20. Jahrhunderts als theoretische Beschreibung formulierten Annahme folgend, können sich einfache Lebensformen wie Mikroorganismen über große Distanzen durch das Universum bewegen und somit die Anfänge für Leben von außen auf die Erde bringen. Wenn man diese durchaus kontrovers diskutierte Hypothese als gegeben annimmt, sind wir nichts anderes als Kinder des Weltalls, die sich gerade selbst den Blick in ihre eigene Vergangenheit zerstören.

Ausreichend viele Menschen haben sich schon ebenso ausreichend viele Gedanken zu diesem in den Medien und von der Politik vernachlässigten Thema gemacht. Man müsste nur hinhören und es umsetzen. Es ist keine Raketenwissenschaft, wirksame Mittel gegen die immer heller werdende Nacht einzusetzen. Zudem wäre es nicht nur in unserem, sondern im Sinne des gesamten Ökosystems unseres Planeten. Es ist dieses von mir zu Beginn beschriebene Gefühl der schönen Traurigkeit, das ich jedem Menschen wünsche. Vielleicht würde es helfen, ein globales Bewusstsein für die Besonderheit des freien und ungetrübten Blicks auf den Sternenhimmel zu schaffen und der Lichtverschmutzung und somit ein Stück weit auch unserem Lebensstil den Kampf anzusagen. Mit dem Gegenteil tun wir uns und allem Leben auf diesem Planeten auf vielen Ebenen keinen Gefallen. Es mag ein frommer Wunsch sein in dieser schwierigen Zeit, in der sich jeder und jede mit sehr irdischen Herausforderungen konfrontiert sieht, doch täte es uns allen gut, hin und wieder einen Blick in den am besten von künstlichen Lichtquellen verschonten Nachthimmel zu werfen, um sich mit den großen Fragen unseres Dasein auseinanderzusetzen. Wer den Blick ins All und somit über den weitesten aller Tellerränder wagt, entsagt sich jeder Engstirnigkeit, die unsere Spezies an der Weiterentwicklung auf sämtlichen Ebenen hindert.


Das Titelfoto wurde bei der beschriebenen Ötscher-Übernachtung von Michael Huber mit seinem Handy aufgenommen.

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