FREIGEDACHT

„Jetzt kommt ja eh nichts mehr, also abschalten“

27. Februar 2016

Was Generationen von Lehrern, Kindergartenpädagogen und bemühten Eltern oft nicht gelungen ist, hat ein Mann in nahezu meisterhafter Art und Weise vollbracht. Von 1979 bis 2005 hat Peter Lustig in der Kindersendung „Löwenzahn“ (früher „Pusteblume“) uns Kindern die Welt erklärt und uns in einer der prägendsten Phasen des Lebens begleitet.

Als ausgebildeter Kindergartenpädagoge habe ich in den letzten Jahren gegen die Begrifflichkeit „pädagogisch wertvoll“ eine gewisse Aversion entwickelt. Ich gehe noch einen Schritt weiter, und halte sie teilweise für entbehrlich. Vor allem aber der Umgang mit dieser erscheint mir bei einigen meiner Kolleginnen und Kollegen mehr als fraglich. Im Zuge von Peter Lustigs Tod bin ich auf den Gedanken gekommen, den ich schon seit Jahren suche. Vorrangig menschlich wertvoll muss die Arbeit mit Kindern sein. Und darauf sollte der Umgang mit ihnen aufbauen. Das hat er gemacht, der Herr Lustig. Die Präsentation der Kindersendung Löwenzahn durch den Herren mit Glatze, Nickelbrille und Latzhose war ehrlich, authentisch und menschlich. Lustig hat mit seiner bodenständigen Art auf Augenhöhe die Welt in einfachen Worten erklärt. Er war mangels seiner pädagogischen Ausbildung eben nicht pädagogisch, sondern menschlich wertvoll.

DAS KINDERSENDUNGSMONOPOL DER 80ER
In einer Zeit der Überflutung durch animierte Kindersendungen ist es nicht mehr vorstellbar. Jedoch gab es Jahre, in denen die Vermittlung von Wissen an Kinder durch das Medium Fernsehen in einer Person konzentriert waren. Diese Person war Peter Lustig. Am Ende jeder Sendung blickte der Herr in der blauen Latzhose durch seine Nickelbrille noch einmal in die Kamera und übte leise und subtil Fernsehkritik. „Jetzt kommt ja eh nichts mehr, also abschalten“. Was Roland Düringer in seiner Sendung „Gültige Stimme“ auch immer mit einem verbissenen Witz versucht zu vermitteln, ging dem Latzhosenträger einfach über die Lippen. Und man glaubte ihm. Fernsehkritik auf sympathischem Niveau. Auch wenn der potenzielle Kunde – das Kind – diese Fernsehkritik nicht als solche verstehen mochte, zeigt es doch auch die Pädagogik, als auch die Gehirnforschung, dass sich das ständige Wiederholen eines derartigen Mantras irgendwann bezahlt macht. Ob es die Reichweite hatte, die sich Peter Lustig damit gewünscht hat oder ob die Gier nach der Reizüberflutung aus dem Fernseher größer war, mag jeder selbst für sich beurteilen. Wie auch immer. Peter Lustig war einer der letzten in einer immer schnelllebigeren Zeit, der als Ruhepol, als Ausgeglichenheit in Person und eine Schutzzone für Kinder schaffte, in der sie den hohen Anforderungen ihres Alltages entfliehen konnten. Und das im Medium, welches mitunter die Triebfeder für diese Entwicklung ist.

KINDERN EINE STIMME GEBEN
In der österreichischen Nachrichtensendung „Zeit im Bild 2“ vom 24.02.2016 mit Armin Wolf gab es keine Meldung zu Peter Lustigs Tod. (Auch die auflagenstärkste Tageszeitung Österreichs berichtete nicht) Warum? Was braucht es, um in der ZiB2 – zumindest posthum – vorzukommen? Man muss einer breiten Masse bekannt sein. Das reicht eigentlich schon. Peter Lustig war das definitiv. Dies zeigen schon alleine die über 44.00 Likes vom Wikipedia-Eintrag in Facebook. An Peter Lustig kam man schwer vorbei. Entweder man war selbst Kind, lernte ihn durch seine Kinder kennen oder durch die Kindeskinder. Der von mir vermutete Grund, warum der Adolf-Grimme-Preisträger keine Erwähnung in der meistgesehenen Nachrichtensendung Österreichs fand: Kinder haben immer noch zu oft keine Stimme. Ich meine nicht die illusorische Vorstellung, Kinder nach dem Zitat „Wer die Welt mit Kinderaugen sieht, weiß wie man sie besser machen kann“ die Welt regieren zu lassen. Aber trotzdem hinzuhören – auch als ZiB2-Redaktion – was ihnen und den erwachsen gewordenen Kindern wichtig ist. Und dem einen genauso hohen Stellenwert einzuräumen, wie einer Person, die für Erwachsene einen hohen Stellenwert hat. Wer würde schon dagegen sprechen, wenn ich meine, dass Peter Lustig mit seiner langjährigen Tätigkeit im Kinderfernsehen die Menschheit mehr beeinflusst hat, als manche Politiker dies tun, über deren Tod mit hoher Wahrscheinlichkeit berichtet werden würde. Bei einem derartig großen Bekanntheits- und vor allem Beliebtheitsgrad erschließt es sich mir einfach nicht, warum nicht über das Ableben des Trägers des Bundesverdienstkreuzes berichtet wurde. Die neuen Emojis auf Facebook waren übrigens eine Meldung wert.

Dass Peter Lustig kein Österreicher war, sondern im Zweiten Deutschen Fernsehen mit seiner Sendung berühmt wurde, stimmt zwar, die Zuschauer-Reichweite ging aber weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus. Für mich als Kind im kleinen, verschlafenen Österreich war er ein passender Gegenpol zu manch überdrehten, aber vor allem nicht authentischen Kindersendungen. Und da war ich nicht der Einzige.

PETER LUSTIG HASSTE KEINE KINDER
Seit dem Interview im Jahr 2002 mit dem Journalisten Kai Biermann hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass Peter Lustig, der Star so vieler Kinder, genau dieselben hasst. Absoluter Schwachsinn! Und das tut Kai Biermann auch leid, wie er im soeben erschienenen Artikel zu Peter Lustigs Tod bekundete. Biermann hatte es damals abgelehnt, ein Portrait über den Fernsehmoderator und Kinderbuchautor zu schreiben. Zu befangen sei er, weil Biermann „so beeindruckt“ von diesem Menschen gewesen sei. Er entschloss sich, das Interview in Auszügen abzudrucken. Die folgenden Worte in der „Stuttgarter Zeitung“ waren der Grundstein für das Gerücht: „(…) ich kann gut mit Kindern umgehen. Vielleicht weil ich ihnen sage: Ich nehme dich so, wie du bist, du mich aber bitte auch, und so kommen wir gut klar. Sicher, Kinder stören und sind klebrig, na und? Das wissen die doch selbst.“ Was Biermann hier zeigen wollte, war die ironische Haltung Lustigs und dass dieser Kinder eben so nahm, wie sie sind. Zudem führte Lustig weiter aus: „Nur in der Sendung möchte ich sie nicht, mit Kindern zu drehen ist anstrengend, und sie gehören einfach nicht vor die Kamera. Das ist Quälerei, immer.“ Der bescheidene Leser hätte das Augenzwinkern hinter diesen abgedruckten Aussagen vielleicht verstanden, der wahre Übeltäter war die „Bild am Sonntag“. „Peter Lustig – ich kann Kinder nicht leiden“ erschien als Überschrift in der Zeitung. Kurz darauf stieg die „Hamburger Morgenpost“ darauf ein. Biermann entschuldigte sich in einem langen Brief bei Peter Lustig und dieser nahm es ihm nicht übel. Das Gerücht jedoch hält sich bis heute.

PETER LUSTIG UND DER „OLLE KENNEDY“

Am 26. Juni 1963 hielt der 35. US Präsident John F. Kennedy seine berühmte Rede in Berlin. Peter Lustig, der eigentlich ausgebildeter Tontechniker war, zeichnete die berühmten Worte Kennedys „Ich bin ein Berliner“ am Schöneberger Rathaus auf. „Der Tagesspiegel“ war knapp drei Jahre vor seinem Tod noch einmal gemeinsam mit dem ins Alter gekommenen und am Gehstock gestützten Weltenerklärer am geschichtsträchtigen Ort und hat diese einmalige Gelegenheit in einem Video festgehalten. Lustig schildert in seiner gewohnt augenzwinkernden und liebevoll erklärenden Art sein Erlebnis aus jungen Jahren und lässt den Betrachter noch einmal nostalgisch in Kindheitserinnerungen schwelgen.

ABSCHALTEN!
Auch nach seinem aus gesundheitlichen Gründen erklärten Rückzug ins Privatleben 2005 hatte man als erwachsen gewordenes Kind unbewusst die Sicherheit, auch wenn er nicht mehr durch den Fernseher blickt und einem die Welt erklärt, sitzt in Deutschland irgendwo der alte Weltenerklärer, gestützt auf seinem Gehstock, lächelt optimistisch und wahrscheinlich auch ein bisschen schelmisch vor sich hin und erklärt sich selbst die Welt. Dieses Gefühl der Sicherheit gibt es jetzt nicht mehr. Als ich die Nachricht vom Tode Peter Lustigs erfahren habe, musste ich eine Träne verdrücken. Peter Lustig, eine zentrale Figur meiner Kindheit, ein Oberlehrer, der nie oberlehrerhaft wirkte, ein Erklärer für Groß und Klein ist am 23. Februar 2016 im Alter von 78 Jahren gestorben. Es ist ein Stück meiner Kindheit, die mit ihm stirbt. Und das tut weh. Klingt komisch, ist aber so.


 

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