NACHGEFRAGT

„Das Team hat einfach extrem schnell reagiert“

17. November 2021

Wenn es um die Corona-Pandemie geht, liegt der Fokus der Berichterstattung meist am Menschen und auf den Auswirkungen der Krise auf ihn. Mit Doris Schreyvogel, einer der Geschäftsführerin des Jane Goodall Institut Austria (JGI A), habe ich über die Wichtigkeit gesprochen, auch unsere nächsten Verwandten zu schützen. Schimpansen haben zu 98,7% dieselbe DNA wie wir Menschen, sind daher sehr anfällig für Atemwegsinfektionen, die auch uns Menschen bedrohen. Wie es bisher gelungen ist, die Menschenaffen vor einer Ansteckung mit Covid-19 zu schützen, was eine Übertragung auf Schimpansen bedeuten würde und warum aufgrund der Corona-Pandemie die Wilderei zugenommen hat bzw. was dagegen unternommen wird, erklärt Doris Schreyvogel in unserem Gespräch.

Andreas Kirchner: Das Coronavirus ist nicht nur eine Bedrohung für den Menschen, viele Wissenschaftler und auch Jane Goodall persönlich haben vor den verheerenden Folgen einer Ansteckung für Schimpansen gewarnt. Wie ist es bisher gelungen, die in den vom Jane Goodall Institute betreuten Schimpansen in den Sanctuaries Ngamba Island in Uganda und Tchimpounga im Kongo zu schützen?
Doris Schreyvogel: Nachdem bereits unterschiedliche Virenerkrankungen in den letzten Jahren ausgebrochen sind, haben wir bereits etwas Routine. Um es am Beispiel von Ngamba Island zu erzählen: das Team hat einfach extrem schnell reagiert. Ngamba Island ist, wie der Name schon sagt, eine Insel. Diese wurde sehr schnell abgeschottet. Bereits vor der Zeit des ersten Lockdowns 2020 hat es verschärfte Maßnahmen gegeben. Es gab es ein Team von sechs Betreuern, die über mehrere Monate auf der Insel isoliert waren. Es ist niemand von außen hineingekommen und es hat umgekehrt auch keiner die Insel verlassen. Damit konnten wir ein gutes Sicherheitsnetz schaffen. Es wurde ein COVID-19-Konzept mit strengen Standards zum Schutz der Menschenaffen entwickelt. Dazu zählen tägliche Temperaturkontrollen und Tests für das Personal sowie wiederverwendbare Gesichtsmasken und Handschuhe. Die geschützten Schlafstellen der Schimpansen werden täglich statt wöchentlich desinfiziert, es herrschen höchste Hygienevorschriften in der Futterküche und der Körperkontakt mit den Schimpansen beschränkt sich auf notwendige Eingriffe wie Gesundheitschecks oder die Verabreichung von Medikamenten. Zusätzlich wurde die Ernährung der Schimpansen adaptiert, um ihre Immunität zu stärken und eine sorgfältige Überwachung auf Krankheitszeichen erfolgt viermal täglich.

Wie hat sich der Schutz bei den wildlebenden Schimpansen gestaltet?
Da der Tourismus in den betroffenen Gebieten zusammengebrochen ist, kamen auch wenige Menschen in den Lebensraum der Menschenaffen. Speziell im Kibale Forest, wo im Rahmen eines unserer Projekte Fallen entfernt werden. Es gab zwar einen Zwischenfall, der recht viel Unruhe ausgelöst hat – man hat eine Gruppe von wildlebenden Schimpansen sehr stark husten gehört. Nach kurzer Zeit war aber klar, dass es sich nur um eine Verkühlung und nicht um Covid-19 handelt. Schimpansen teilen 98,7% ihrer DNA mit dem Menschen. Das bedeutet, dass wir die gleiche Physiologie haben und von den gleichen Krankheiten betroffen sind. Schimpansen sind sehr anfällig für Atemwegsinfektionen, was COVID-19 zu einer besonders gefährlichen Erkrankung für Menschenaffen macht. Ob es eine Ansteckung gegeben hat, kann man in einem so großen Gebiet bei wildlebenden Schimpansen schwer feststellen. Aber laut unseres Wissensstandes, gab es keine Übertragung, auch nicht bei den Berggorillas im Grenzgebiet Uganda, Ruanda, Demokratische Republik Kongo.

In den Sanctuaries wäre eine Infektion wahrscheinlich relativ leicht zu kontrollieren, was aber würde eine Übertragung auf wildlebende Schimpansen bedeuten?
Im schlimmsten Fall das Aussterben der Spezies, da eine Ausbreitung bei den wild lebenden Schimpansen nicht zu kontrollieren wäre. Es ist bekannt, dass bereits eine einfache Erkältung beim Menschen für eine Schimpansengemeinschaft in freier Wildbahn verheerend ist und zu einer hohen Sterblichkeitsrate führt. In den Sanctuaries kann man natürlich mit Medikamenten und medizinischer Versorgung entgegenwirken, aber bei wildlebenden Schimpansen wäre das nicht möglich. Durch den Rückgang der Habitate ist die Population der Schimpansen sowieso schon stark gefährdet. Einerseits gibt es den Mensch-Tier-Konflikt, aber auch durch die Rodung von Regenwald wurden die Gebiete auf ein Minimum begrenzt, dass ein Gegenwirken von unserer Seite auch wirklich dringend notwendig ist. Nicht nur im Bereich der Aufforstung, sondern auch über Informationsveranstaltungen und Aufklärung vor Ort. Die Menschen in den Dörfern sind dankbar für unsere Unterstützung, denn sie wollen ein intaktes Ökosytem und sehr viele helfen mit, den Wald für Menschen und Tiere zu bewahren.

Während der Corona-Pandemie hat auch die Wilderei zugenommen.
Die Beschaffung von Lebensmittel war in Uganda zeitweise sehr schwer möglich, vieles wurde rationiert und von der Polizei und vom Militär ausgeteilt und hat oft nicht die Bevölkerungsgruppe erreicht, die es dringend benötigt hätte. Aus einem Grundbedürfnis des Menschen zu überleben und auch seiner Familie ein Überleben zu ermöglichen, haben viele Menschen mit der Wilderei begonnen. Unsere Rangergruppen patrouillierten verstärkt im Zuge unseres Fallenentfernungsprogramms im Kibale Forest und drangen dabei noch viel tiefer in den Nationalpark vor, als sie es sonst tun. Im Jahr 2020 wurden in unserem Projektgebiet 663 Patrouillen – 2019 waren es 554 – durchgeführt und 538 Fallen entfernt. Außerdem stößt die Patrouille häufig auf Gruben, die ausgehoben wurden, um Büffel oder Antilopen für ihr Fleisch oder Elefanten für ihr Elfenbein zu fangen.

Die Zunahme der Wilderei ist also nur ein Symptom. Wie können die Ursachen bekämpft werden?
Ein Bildungsprogramm des Jane Goodall Instituts in 14 Schulen außerhalb des Parks soll den Schülerinnen und Schülern die Wertschätzung für das Naturerbe des Kibale Forest und die Gefahren beim Verzehr von Wildtierfleisch vermitteln. Aber auch bei der Gesetzeslage hat vor wenigen Jahren viel getan. Einerseits wurde die Strafverfolgung wegen Wilderei verschärft – es droht bis zu lebenslanger Gefängnisstrafe – andererseits gibt es finanzielle Entschädigung für Ernte- oder Viehverluste durch Wildtiere oder wenn Menschen von Wildtieren verletzt oder getötet wurden.

Schreyvogel mit Rangern im Kibale Forest National Park auf Patrouille (2016)

Die Schimpansen leben aus unserer Sicht gesehen nicht gerade vor unserer Haustür. Welchen Beitrag kann jede und jeder Einzelne für das Weiterleben unserer nächsten Verwandten leisten?
Am liebsten ist uns hier eine finanzielle Unterstützung, weil wir unsere Projekte so weiterführen können, wie wir sie in den letzten Jahren bereits erfolgreich geführt haben. Projekte, mit denen wir den Schimpansen aus schlechter Haltung bzw. denen, die aufgrund von Wilderei in Gefangenschaft leben, in den Sanctuaries ein lebenswertes Umfeld bieten können. Auf der anderen Seite natürlich all die Projekte, die den Schutz den wilden Schimpansen weiterhin möglich machen.

Lassen Sie uns einen Sprung nach Österreich machen. Seit 2017 findet der Austrian World Summit, eine von Arnold Schwarzenegger initiierte internationale Klimaschutzkonferenz, statt, an der auch Jane Goodall heuer wieder teilgenommen hat. Die Berichterstattung war nach dem letzten Gipfel nicht mehr so wohlwollend, wie in den Jahren davor. Ist es wirklicher Klimaschutz oder sind es, wie so oft, nur Lippenbekenntnisse und Show?
Jane Goodall war vor drei Jahren das erste Mal beim Austrian World Summit dabei. Sie kennt Arnold Schwarzenegger schon von verschiedenen anderen Konferenzen, die beiden mögen sich. Arnold Schwarzenegger ist ein großer Fan von Jane. Vor drei Jahren haben sie das erste Mal sehr viel über das Roots & Shoots Programm gesprochen, bei dem es darum geht, Kinder und Jugendliche zu informieren, dass sie einen Blick auf ihr unmittelbares Umfeld bekommen, sie erkennen, was wichtig ist und beginnen, sich in ihrem eigenen Umfeld für Mensch, Tier und Natur einzusetzen. Wir beobachten beim Austrian World Summit, dass – wie auch bei vielen anderen Konferenzen – einfach viel geredet wird. Es wird versucht, viel auf die Beine zu bringen, in der Umsetzung gestaltet es sich dann aber schwieriger, als man es sich auf einer großen Bühne vielleicht wünscht. 

Bleiben wir bei der Umsetzung: Welchen konkreten Beitrag zum Klimaschutz hat das Jane Goodall Institut aufgrund dieses Gipfels geleistet?
Die Schwarzenegger Climate Initiative hat mit uns das Mutuba Tree Project initiiert. Mit der Aufforstung tropischer Wälder wird wichtiger Lebensraum für in Uganda lebende Schimpansen wiederhergestellt und so Teile ihrer Population gesichert. Außerdem sind die Früchte dieses Feigenbaumes eine der wichtigsten Nahrungsquellen für diese Menschenaffen. Der Mutuba Baum hilft aber auch, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen, denn die Rinde kann regelmäßig geerntet und zu einem Stoff verarbeitet werden. So bietet Mutuba den Menschen vor Ort über 40 Jahre lang eine sichere Einnahmequelle, ohne dem Baum Schaden zuzufügen.

Welchen Erwartungen haben Sie an den Austrian World Summit?
Ich sehe es schon als großen Nutzen solcher Veranstaltungen, dass die mediale Aufmerksamkeit auf das Thema Klimaschutz gelenkt und somit die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht wird. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die gehört werden, die etwas zu sagen und auch den Impact haben, nicht nur das Momentum auf der Bühne nützen, sondern danach auch schneller in eine Umsetzung gehen. 

Mit „BeInspired“ erschien Ende September erstmals das neue Magazin des Jane Goodall Institut Austria. Über was wird darin berichtet?
Darin versuchen wir die holistischen Ansätze unserer Arbeit dazustellen, in viele Projekte einen tieferen Einblick zu gewähren, noch mehr Verständnis zu schaffen für das, was wir seit 18 Jahren tun und einen Ausblick geben, was durch unsere aktuellen Projekte noch passieren wird. Zudem hat das Jane Goodall Institut auch einen neuen Slogan, der lautet „Inspiring hope trough action“. Genau das, was Jane Goodall seit Jahrzehnten macht: sie inspiriert. Deswegen auch der Titel des Magazins. Wir wollen diese Inspiration, die uns Jane vorlebt, weitertragen und hoffentlich noch viel mehr Menschen inspirieren, aktiv zu werden. Außerdem haben wir vor Ort noch mehr Geld in den täglichen Betrieb der Stationen investiert. Damit die Versorgung gewährleistet ist, die Menschen ihre Arbeit nicht verlieren. Aber auch wurde noch mehr in Roots & Shoots Projekte investiert oder es wurden Neue geschaffen, damit Kinder Bildung erhalten.

Jane Goodall selbst hat seit der Corona-Pandemie persönlich keinen öffentlichen Auftritt mehr absolviert, sondern ist nur mehr virtuell präsent. Wie geht es ihr?
Wir sind im regelmäßigen Austausch mit Jane und ihrem Büro. Sie sagt selbst, dass sie in den letzten eineinhalb Jahren so viel wie noch nie zuvor in ihrem Leben gearbeitet hat. Sie schreibt Bücher, gibt Interviews, macht Video-Messages und erreicht dabei viele Millionen Menschen mehr als vor dem „grounded“ sein, wie sie es selbst bezeichnet. Sie ist sich in ihr Elternhaus in Bournemouth und lebt dort gemeinsam mit ihrer Schwester und deren Familie. In ihrem ehemaligen Kinderzimmer hat sie sich ein kleines Studio mit einem Schreibtisch, einer Kamera und einem Mikrofon eingerichtet, in dem sie täglich arbeitet. Sie ist gesund, es geht ihr gut, aber die direkte Interaktion, dieser echten Austausch mit Menschen auf der ganzen Welt fehlt ihr. Mitte Oktober erschien ihr neues Buch „The Book of Hope“ (Anm. – im deutschsprachigen Raum erscheint „Das Buch der Hoffnung“ am 22.11.2021). Darin werden ihre vier Gründe zu Hoffnung noch einmal aufgearbeitet und thematisiert. Mit diesem Buch will sie uns Hoffnung geben, dass wir nicht aufhören daran zu glauben, dass wir unsere Welt retten können.

Gibt es Pläne, wann sie persönlich wieder zurück in die Öffentlichkeit kommt?
Nein. Es wird immer wieder darüber gesprochen, aber gerade aufgrund der neuen Virus-Varianten ist es schwierig, in eine konkrete Planung zu gehen. Jane hat im April ihren 87. Geburtstag gefeiert und es will niemand riskieren, dass sie an Covid erkrankt.


Titelfoto: ©Daniela Matejschek

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