HOMENACHGEFRAGT

„Es hat niemand gedacht, dass Enrico so ein Erfolg wird“

24. Januar 2023

Pünktlich um 14 Uhr läute ich am Eingangstor eines Hauses in einem Wiener Randbezirk, dessen Fassade ein gemalter Harlekin ziert. Eine freundliche Dame öffnet die Türe und bittet mich herein. „Herr Zuber wartet oben auf Sie!“ Über die Treppe in den ersten Stock, bepackt mit Kameras, Stativen und sonstigem Interview-Utensil, blicke ich hinauf. Dort steht er auch schon, komplett in schwarz gekleidet und lächelt mir entgehen. „Meine Verehrung, Herr Zuber!“, ich verbeuge mich.

„Wollen Sie einen Kaffee?“, fragt mich der 81-Jährige Schauspieler, der 36 Jahre lang festes Mitglied des Burgtheaters war und sich seit einigen Jahren im Ruhestand befindet. „Mit einem Glas Wasser bin ich zufrieden“, antworte ich. „Sie können auch Wein haben!“ Die 11-jährige Dackeldame Luzie beobachtet neugierig das Geschehen. Bei Rotwein und Marillenkuchen nehmen wir Platz im Wohnzimmer, das ausgestattet mit Biedermeiermöbel zum Verweile einlädt. Eigentlich soll es ein Gespräch über Humor im Allgemeinen und in Krisenzeiten  werden, vielmehr wird es ein Gespräch über das Lachen. „Humor hob’ i kan“, sagt Heinz Zuber und beweist mit dieser Aussage das Gegenteil. Neben dem Burgtheater und vielen weiteren Engagements verkörperte er 28 Jahre Clown Enrico im ORF und zauberte damit Generationen von Kindern ein Leuchten in die Augen.

Andreas Kirchner: Vielen Dank, dass ich heute hier sein darf, um mit Ihnen in Bezug auf Ihre Rolle als Clown Enrico über Humor zu sprechen. Haben Sie heute schon gelacht?
Heinz Zuber: (beginnt zu lachen) Ich weiß nicht, mein Hund bringt mich oft zum Lachen. Viel über Humor kann ich nicht philosophieren, da müssten wir Otto Schenk fragen, der kann das grandios.

Was bringt Sie noch zum Lachen?
Meine Standardantwort ist: der Vitásek (Anm.: Andreas). Weil er gut ist. Er hat in Paris eine Pantomimen-Schule absolviert, an der auch ich war. Er hat das sehr seriös gemacht. Ich war nicht gerade ein fleißiger Schüler. Zum Wohl! Das bringt mich auch zum Lachen. (er erhebt das Weinglas)

Waren Sie ein lustiges Kind?
Nein, eigentlich nicht. Ich war Einzelkind, hätte aber gerne Geschwister gehabt. Es war eine glückliche Kindheit, aber ich war eher ein Einzelgänger. Obwohl ich noch viel Kontakt mit Schulkollegen von damals habe. Vielleicht hat das etwas damit zutun, dass ich aus ihrer Sicht einen außergewöhnlichen Beruf hatte. Im Grunde bin ich jetzt ein fröhlicher Mensch, aber als Kind war ich schüchtern und verschreckt.

Haben Sie als Kind Clowns lustig gefunden?
Zirkusclowns mochte ich nicht, die waren mir zu primitiv. Eine einzige Ausnahme war Grock. Bei dem hatte ich das Gefühl, man kann lernen, was er macht. Darum war ich auf der Pantomimen-Schule in Paris.

Zuerst war ich acht Jahre jeden Samstag mit meinem Gesicht im Fernsehen und plötzlich war ich ein angeschmierter Clown.

Sie haben in Ihrer Rolle des Clown Enrico Generationen von Familien begeistert. Wie ist Enrico entstanden?
Das war reiner Zufall. Ich war ja ziemlich rasch im Fernsehen. Zuerst war ich am Reinhardt-Seminar und dann kam schon eine sehr schöne, große Fernsehrolle in „Samba“ von Ullrich Becher unter der Regie von William Dieterle. Der Fernsehbesetzungschef hat mich danach weiterbeschäftigt und mir die Kindersendung „Das kleine Haus“ angeboten. Das habe ich acht Jahre mit einer Partnerin moderiert. Irgendwann wurde diese Sendung abgesetzt und der Beamte hat zu den Autoren gesagt „Haben `S nichts für den Zuber?“. Ein Autor hat daraufhin den Enrico geschrieben und ich habe ihn gespielt. 

Mochten Sie diese Rolle von Anfang an?
Anfangs war ich gar nicht glücklich darüber. Zuerst war ich acht Jahre jeden Samstag mit meinem Gesicht im Fernsehen und plötzlich war ich ein angeschmierter Clown. Dann wurde es aber komischerweise ein Erfolg und ich habe es wirklich gerne gemacht. Im Laufe der Zeit habe ich selbst Lieder und Texte geschrieben. Das war eine kreative Aufgabe, die mir gefallen hat. Ob es den anderen gefallen hat, war mir wurscht. Aber offenbar hat es gefallen. 

Wie kam es zu dem beinahe unaussprechlichen Namen?
Das war Franz Josef Barta, der den Namen Enrico Emmanuel Theobaldissimus Fillissi Maximo erfunden hat. Er hat auch die Szenen geschrieben. Ich habe als Clown immer mit Partnerinnen gespielt, das hat gut funktioniert. Zwei-, dreimal auch mit Arminio Rothstein (Anm.: Habakuk). Aber das war nix, da waren dann einfach zwei Depperte vor der Kamera. Mit einer Partnerin oder einem Partner kann der Clown so verrückt sein, wie er ist und der andere ist normal und redet normal. 

Sie haben einmal gesagt, Enrico ist eigentlich ein trauriger Clown.
Man redet so viele Sachen. (lacht) Enrico war für mich einer, der die Probleme von Kindern haben kann, aber am Ende der Szene löst sich alles im Positiven auf. Durch ein Lied oder durch Hoffnung oder durch fröhlich sein. Der Clown hat ein Problem, dann nimmt er die Stufe und ist wieder fröhlich. 

Meine Mutter mochte Enrico gar nicht.

Diese Rolle haben Sie über 4000 Mal gespielt. Inwieweit wurden Sie selbst zu Enrico?
Gar nicht, der Enrico wurde zu Heinz Zuber. Das war schon ich. Je mehr ich selbst geschrieben habe, je mehr waren es meine eigenen Kindheitserinnerungen. Enrico war einmal völlig entsetzt, dass im Radio keine Männchen sind, die den Ton machen. Als ich ein kleiner Bub war, hatte ich die Vorstellung, dass im Radio irgendwelche Männchen sein müssen. Mein Vater hat dann irgendwann das Radio repariert und ich war völlig entsetzt, weil darin keine Männchen waren. Aus solchen Ideen sind Szenen für Enrico entstanden. 

Enrico war aber auch von der Persönlichkeit ihrer Mutter inspiriert.
Enrico war irrsinnig fröhlich und sofort traurig, so ein Temperament hatte meine Mutter auch. Ich habe ihr gesagt, sie ist die Mutter des Enrico, darum ist er so. Das hat sie sehr empört. Meine Mutter mochte Enrico gar nicht. 

Bis zu ihrem Lebensende nicht?
Nicht wirklich, nein. In Deutschland, wo ich geboren bin, hat sich irgendwann herumgesprochen, was ich in Österreich mache und ein Nachbar meiner Mutter hat zu ihr gesagt: „Ihr Bub ist ja beim Zirkus in Österreich.“ Meine Mutter war empört und hat mit „Mein Sohn ist im Burgtheater!“ geantwortet. Ich bin überzeugt, er wusste nicht, was das Burgtheater ist. Einer, der im Burgtheater ist und einen Clown spielt, hatte sie nicht so gern. Als wir gemeinsam in Wien Ausflüge gemacht haben, kam jedes Mal beim Mittagessen irgendjemand zu unserem Tisch und wollte ein Autogramm haben. Das hat sie so aufgeregt.

Es hat niemand gedacht, dass Enrico so ein Erfolg wird.

Würde Enrico heute im Fernsehen einer digitalisierten und mediendurchfluteten Welt noch funktionieren?
Es kommt nur darauf an, wie man ihn präsentiert. Zilk hat einmal gesagt, es kann niemand so blöd sein, dass er im Fernsehen keinen Erfolg hat. Da hat er sich sehr wahrscheinlich auch selbst gemeint. Natürlich hat sich die Zeit verändert. Wenn früher jemand im Fernsehen war, dann war er jemand. Aber ich glaube schon, dass du die meisten Sachen im Fernsehen zum Erfolg machen kannst, wenn du es halbwegs gescheit machst.

Sie waren – unter Anführungszeichen – nicht nur Clown Enrico, sondern neben anderen Engagements auch 36 Jahre am Burgtheater. Gab es jemals in Ihrem Leben einen Moment, in dem Sie die Existenz von Enrico bereut haben?
Nie! Ich habe es gerne gemacht. Bis ich Enrico gespielt habe, habe ich auch Theater gespielt und war präsent. Aber es hat auch niemand gedacht, dass Enrico so ein Erfolg wird. 

Was war Enricos schönster Moment?
Nach dem ersten Jogoslawien-Krieg gab es viele Flüchtlinge bei uns in Österreich. Ich habe mein gesamtes Enrico-Animationsprogramm in Serbokroatisch gemacht. Die Texte der Lieder habe ich mir übersetzen lassen und die Kinder haben sofort geantwortet und mitgemacht. Ich wusste ja nicht, ob das klappen wird. Das war ein toller Erfolg!

Im ORF gab es oft Widerstand gegen Enrico und auch mehrere Versuche ihn abzusetzen. Wie sind Sie mit diesen Krisen umgegangen?
Gar nicht. Ich wusste, dass ich gut beim Publikum ankomme. Es war auch nicht der ganze ORF, es waren einzelne Intriganten, die neidisch auf meinen Erfolg waren. Bei einem Versuch Enrico abzusetzen, gab es tausende Zuschriften aus dem Publikum, da konnten sie dann auch nichts machen. 

Wer ist neidisch auf einen erfolgreichen Clown?
Alle, die nicht so erfolgreich sind. 

Auch wenn’s im Leben stürmt und kracht, Humor ist, wenn man…
…trotzdem lacht.

Leichter gesagt, als getan. Wie funktioniert es in schwierigen Situationen den Humor zu behalten?
Den behält man nicht, der geht schon weg. Du kannst nur gelassen sein. Aber das ist kein Humor, da müsste man über die Dinge lachen. Das kann ich nicht.

Schwarzer Humor ist nicht der Ihre?
Ich habe ihn gern, aber er hat nichts mit mir zutun. 

Wie gehen Sie mit persönlichen Krisen um?
Ich hatte schon lange keine mehr.

Das ist der beste Umgang damit.
(lacht) Ich lebe, wie ich lebe, arbeite aber auch nicht mehr. Wenn du arbeitest, hast du dauernd irgendjemanden, der neidisch ist. Wenn du Erfolg hast, kannst du sicher sein, dass Neid kommt. Das ist so in dem Beruf, in anderen sehr wahrscheinlich auch.

Wenn Sie jetzt an das aktuelle Weltgeschehen denken, an die Corona-Krise, die Klimakrise, den Ukraine-Krieg und die Inflation , wie geht es Ihnen dabei?
Es ist schrecklich, aber ich bin 1941 mitten im Zweiten Weltkrieg geboren, da lag die Welt in Trümmern. Die aktuellen Krisen sind für mich noch alle ein bisschen weit weg. Damals mussten wir flüchten, als die Alliierten kamen. Wir wohnten in Deutschland an der Grenze zur Schweiz. Für uns war da drüben der Himmel. Als Kind habe ich die Flucht erlebt, ein Flüchtlingsheim und mit meiner Mutter in Untermietzimmer zu wohnen. Aktuell geht es uns gut. Mein Spruch ist immer: Es soll nicht schlechter werden. Man darf aber nicht vergessen, wie es den Leuten geht, die dort leben. 

Selbst im Krieg lachen die Leute, weil sie sich so drüberretten.

Vor wenigen Wochen versuchten viele Russen der Teilmobilisierung Putins zu entkommen. Ihrem Vater ist es auch gelungen, den Kriegsdienst zu umgehen.
Meine Mutter hat eine tolle Sache gemacht! Sie hat sich im Namen meines Vaters mit seinen Zeugnissen bei Dornier Bregenz beworben und er wurde vom Militär abgezogen. Er wusste nicht, wie ihm geschieht und er wurde auch ausgelacht von seinen Kollegen und Vorgesetzten. Aber so hat er überlebt, sonst wäre er nach Stalingrad gekommen. Das war eine Heldentat meiner Mutter. 

Wir haben vor unserem Treffen dreimal miteinander telefoniert und schon am Telefon viel gelacht. Wie behält man sich das Lachen bis ins hohe Alter?
Das liegt immer am Gegenüber. Es hat mit Empathie und Sympathie zutun.

Wann ist für Sie der Punkt erreicht, ab dem es nichts mehr zu lachen gibt?
Das weiß ich nicht. Selbst im Krieg lachen die Leute, weil sie sich so drüberretten. Natürlich gab es auch Humor unter den Soldaten, der war oft schwarz. Das hat vielleicht geholfen, Situationen zu überstehen. 

Wenden Sie diese Strategie des Drüberrettens mithilfe von Humor auch an?
Ich kann mich an die erste Beerdigung erinnern, auf die ich als Kind gegangen bin. Es war die meiner Großmutter. Meine Cousinen und ich haben furchtbar gelacht, weil alle anderen so ernst waren.

2011 war Ihr letzter Auftritt als Enrico. Wird es eine Rückkehr des beliebten Clowns geben?
Ich weiß nicht, was da passieren müsste. Es müsste eine Ehre sein oder viel Geld. (lacht) Aber nein, in Wirklichkeit nicht. 

Hatten Sie in der Zwischenzeit noch einmal das Kostüm an?
Es hängt unten, aber ich hatte es nie an. 

Daheim laufen Sie also nicht als Enrico herum?
Manchmal, aber sagen `S das nicht! (lacht)

Was sollen die Menschen in 100 Jahren über Sie sagen?
Die kennen mich dann nicht mehr, ich bin ja nicht der Goethe.


 

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