Mit „Die Leistung der FPÖ ist nicht vorhanden“ wird Bundeskanzler Christian Kern in der „Süddeutschen Zeitung“ zitiert und spricht somit der am drittstärksten vertretenen Partei des österreichischen Parlaments jegliche Leistung ab. Darüber kann man diskutieren. Wie definiert Kern Leistung? Welche Leistung hat er als Bundeskanzler schon vollbracht?
Eine Leistung seinerseits war definitiv der Besuch der Regenbogenparade in Wien. Was seither allerdings vor allem in den sozialen Medien passiert, lässt differenziert denkende Menschen die Stirn runzeln.
Bedenklicher Personenkult
Um den neuen Bundeskanzler Österreichs baut sich ein konstant verstärkender und politisch bedenklicher Personenkult auf. Wenn der interessierte Politikbeobachter die Brille der Nüchternheit ablegt und stattdessen den stetigen Blick durch die emotionalisierte Brille wirft, wird er unausweichlich vom Beobachter zum Fan. Und unreflektierte Fans erweisen auf Dauer keiner seriösen Politik einen besonders hohen Dienst, weil nicht mehr die Arbeit und deren Folgen beurteilt werden, sondern die mediale Inszenierung zur Urteilsbildung ausreicht. Und Kern versteht es, sich zu inszenieren.
Die Frage etwa, ob der Account @kernchri tatsächlich echt ist und vom Bundeskanzler selbst betreut wird, beschäftigt aktuell die Twitter-Gemeinde. Ein ORF-Mitarbeiter hat es hinterfragt, ein anderer bestätigt. Ein weiterer User mag sogar Kern live beim Twittern fotografiert haben und schreibt über den neuen Kanzler Folgendes:
Nen besseren BK kann man AT??nicht wünschen!@kernchri-einer der zur #Regenbogenparade geht(weils lange überfällig war)und selbst Twittert!?
— Dominik (@D_O_S_Ti) 19. Juni 2016
Politische Glücksgefühle
Natürlich ist die Anwesenheit des Kanzlers auf der Regenbogenparade vorbildlich, längst überfällig und wohltuend richtig, aber wenn das – und die Fähigkeit des selbst Twitterns – alleine schon einen guten Kanzler ausmachen, können wir eigentlich in der Sekunde aufhören, seriös über Politik zu diskutieren. Auch wenn seine Einstellungen, seine trudeauesken Formulierungen und sein öffentlicher Auftritt enorm beflügelnd wirken mögen, wäre es durchaus sinnvoll, Zeit vergehen zu lassen, bevor man sich Hals über Kopf in einen unkritischen, von Glücksgefühlen getragenen Personenkult stürzt. Der österreichischen Gesellschaft, aber vor allem Kern selbst zuliebe.
Kern hat nichts davon, schon vor seiner tatsächlichen Arbeit zum Helden gelobt zu werden, womöglich nur, weil seinem Vorgänger Charisma, Enthusiasmus und der nötige Wille für Reformen fehlten. Auch wenn es verständlich ist, für eine bestimmte Person überschwängliche Begeisterung und Faszination zu entwickeln – bitte lasst Kern und sein Team arbeiten. Loben wir ihn doch nicht jetzt schon so hoch, dass er nur mehr fallen kann.
Gut gegen Böse
In den sozialen Medien sind zwei Fotos im Umlauf. Auf dem einen ist Bundeskanzler Kern mit vier körperbemalten Menschen auf der Regenbogenparade zu sehen. Auf dem anderen Außenminister Sebastian Kurz mit Kindern auf dem „Marsch für Jesus“. Der grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz twitterte: „Kern bei Regenbogenparade, Kurz beim ‚Marsch für Jesus‘. Die Wege gehen immer weiter auseinander.“
Kurz wird von Twitter-Usern kritisiert, weil er nicht auch auf der Regenbogenparade war. Die Veranstaltungen hätten doch nicht so weit voneinander entfernt stattgefunden, da hätte der Außenminister auch bei der Regenbogenparade vorbeischauen können. Muss das sein? Wieso können nicht beide Veranstaltungen nebeneinander existieren, und jeder darf besuchen, welche er will. Ohne danach von der jeweils anderen Seite angepöbelt zu werden.
Den Kurz-Kritikern gelingt es nicht, die Perspektive zu wechseln. Umgekehrt könnte man nämlich auch beanstanden, dass Kern zwar auf der Regenbogenparade war, aber nicht den „Marsch für Jesus“ besuchte. Es ist immer eine Frage der Perspektive. Und das bleibt es auch, wenn einem die andere Perspektive nicht gefällt. Sie zu akzeptieren und mit dem Gegenüber auf Augenhöhe zu diskutieren gehört zur Basis jeglicher seriösen Diskussion.
Bunte Vielfalt
Im Endeffekt sollte es in unser aller Sinne sein, das Kontrastieren der unterschiedlichen Perspektiven auf das Leben nicht zu verstärken. Das Ziel einer bunten Gesellschaft muss es auch sein, die Existenz der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen zu gewährleisten und als gleichwertig zu erachten. Solange sich diese im rechtlichen Rahmen befinden. Eh klar.
(erschienen auf derstandard.at, 21.06.2016)
Titelfoto: ©bundeskanzleramt.at